Zur Gründung des Personzentrierten und Experienziellen Weltverbandes
Motive, Prinzipien und Struktur

Von Peter F. Schmid, Mitglied im Executive Board der WAPCEPC

Am 8. Juli 1997 wurde im Rahmen der International Conference on Client–Centered and Experiential Psychotherapy (IVth ICCCEP), an der etwa 100 Personen teilnahmen, ein weltweiter personzentrierter und experientieller Verband gegründet. Zehn Jahre nach dem Tod von Carl Rogers kommt das relativ spät. Für die personzentrierte Geschichtsschreibung und die weitere »Politik des Personzentrierten Ansatzes« (Rogers) in Psychotherapie und Beratung ist dies dennoch eine bedeutsame Marke und in gewisser Weise ein Sprung über den eigenen Schatten. Ohne Übertreibung ist dies daher als historisches Ereignis im Rahmen der Entwicklung des Personzentrierten Ansatzes anzusehen, ist doch eine solche internationale Organisation für die Personzentrierte Psychotherapie alles andere als eine Selbstverständlichkeit

Rogers selbst hatte bekanntlich auf Grund schlechter Erfahrungen kein Interesse an Organisationen oder Vereinigungen, die Gefahr laufen könnten, eine rigide Orthodoxie oder eine Rogerianische Schule zu begründen. Ebenso war er gegen staatliche Anerkennungsverfahren oder Zertifikate eingestellt, die jemandem beispielsweise bescheinigen würden, Klientenzentrierter Psychotherapeut zu sein. Er wollte eine für neue Entwicklungen offene Bewegung und keine formalen Anerkennungen oder Exkommunikationen. So hinterließ er zwar weltweit Gruppen von Personen, die sich dem Ansatz verpflichtet fühlten, aber im Gegensatz zu anderen prominenten Gründervätern keine internationale Vereinigung. Verschiedene Versuche seither blieben im Ansatz stecken — zu stark war die Überzeugung, dass ein personzentriertes Selbstverständnis einen organisatorischen und politischen Zusammenschluss verbiete.

Die Motive

In der Zwischenzeit haben sich die äußeren Umstände wesentlich geändert. Bei allen Bedenken gegen die Tendenz von Organisationen, Lebendiges zu versteinern, Richtungskämpfe zu fördern und bisweilen Ausgrenzungen statt wechselseitiger Unterstützung und Zusammenarbeit zu begünstigen — die Argumente für einen weltweiten Zusammenschluss der dem Personzentrierten Ansatz verpflichteten Personen fallen stärker ins Gewicht. So stellte sich 1996 die Situation dar:

Bad Hall 1996: Der Gründungsaufruf

Diese Umstände führten bei einem informellen Meeting dreißig personzentrierter Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus der ganzen Welt —es fand auf Einladung der »Internationalen Vereinigung Person–Centered Association in Austria (PCA)« im Juli 1996 im Anschluss an den Weltkongress im oberösterreichischen Bad Hall zum Austausch theoretischer Konzepte statt (vgl. Frenzel/Schmid 1996) — zu einem Konsens darüber, dass die Zeit dafür reif sei, eine internationale Organisation zu gründen. Ein solcher Zusammenschluss im Sinne eines weltweiten Dachverbands oder Forums für personzentrierte Praktiker und Theoretiker in Psychotherapie und Beratung sollte — das war von Anfang an klar — eine offene Vereinigung sein, die auf der einen Seite Platz für verschiedene Richtungen innerhalb des Ansatzes bieten, auf der anderen Seite aber klar identifizierbar sein müsse. Ein entsprechender Aufruf zur Gründung wurde weltweit in Vereinigungen, Zeitschriften und auch im Internet publik gemacht und dabei zur Gründung nach Lissabon eingeladen.

Bei all der Notwendigkeit zu einer internationalen Organisation muss freilich — das war von Anfang an allen bewusst — das Bewusstsein für jene Gefahren wach bleiben, die schon Rogers benannt hatte. Ein Zuviel an Organisiertheit, eine hierarchische Organisationsstruktur und die Begünstigung etablierter und traditioneller Gruppen zulasten neuer und kreativer Formen würde dem Ansatz in grober Weise widersprechen. Freilich kann auch umgekehrt ein starres Festhalten an Prinzipien, die in einem anderen Umfeld entwickelt wurden, nicht als personzentriert gelten. So hätte etwa die prinzipielle Ablehnung der Verhandlungen um staatliche Anerkennung, wie sie jüngst wieder erhoben wurde (Gendlin 1997), in Österreich zu einem Marsch in die Bedeutungslosigkeit geführt.

Lissabon 1997: Die Gründung

Bei der ICCCEP in Lissabon wurde der Verband unter den Namen "Weltverband für Personzentrierte Beratung und Psychotherape" (WAPCCP) bei nur zwei Stimmenthaltungen am 8. Juli gegründet und seine provisorischen Statuten am 11. Juli einstimmig beschlossen. 77 Personen fungierten als Gründungsmitglieder. Eine »Working Group« aus 18 Personen wurde mit der Ausarbeitung detaillierter Statuten zur Vorlage an die Generalversammlung in Chicago im Jahr 2000, mit der Einladung zur Mitgliedschaft an Vereinigungen, Institute und Personen und mit der Durchführung der organisatorischen Notwendigkeiten betraut. Aus ihr wurde ein achtköpfiger »Executive Board« (Vorstand) gewählt und unter anderem mit der Repräsentation und Vertretung nach außen in laufenden Angelegenheiten (z. B. WAP und WCP), mit der Budgeterstellung und den Verhandlungen über eine Zeitschrift beauftragt.

Die Prinzipien

Als Ziel der Association wurde beschlossen, ein weltweites Forum für alle Psychotherapeuten und Berater beiderlei Geschlechts zu bieten, die sich den folgenden Prinzipien verpflichtet wissen:
• Das Wichtigste in der Psychotherapie ist die Beziehung zwischen Therapeut und Klient.
• Das Vertrauen in die Erfahrungswelt des Klienten ist für das therapeutische Unterfangen wesentlich.
• Der essenzielle Glaube an die Wirksamkeit der Bedingungen und Haltungen, die für den therapeutischen Prozess förderlich sind und zuerst von Carl Rogers formuliert wurden, und die Verpflichtung darauf, sie aktiv in die Therapiebeziehung einzubringen, sind unabdingbar.
• Sowohl der Klient wie der Therapeut sind als Personen zu verstehen, die ebenso als Individuen wie in ihren Beziehungen zu anderen und der Umwelt gesehen werden müssen.
• Eine Offenheit für die Ausarbeitung und Weiterentwicklung der personzentrierten und experientiellen Theorie im Lichte gegenwärtiger und zukünftiger Praxis und Forschung ist unverzichtbar.

Die Struktur und die Mitgliedschaft

Von der Struktur her ist eine Verpflichtung auf personzentrierte Grundsätze ebenso selbstverständlich wie die Nichteinmischung in die Interna der Mitgliedsvereine. Es ist eine Struktur »von unten nach oben«. Die Details werden in einem dreijährigen weltweiten Kommunikationsprozess erarbeitet.

Zur Mitgliedschaft eingeladen sind einerseits bestehende Vereinigungen, Institute und Ausbildungsorganisationen innerhalb und außerhalb des universitären Bereichs und andererseits Einzelpersonen. Auch wenn der Fokus der Association im Sinne einer professionellen Organisation auf Beratung und Psychotherapie liegt, ist die Mitgliedschaft diesbezüglich keinen Beschränkungen unterworfen und für alle Interessierten offen, die mit den genannten Prinzipien übereinstimmen. Eine entsprechende Einladung ist über das Sekretariat oder ein Mitglied des Boards erhältlich.

Chicago 2000: Die definitive Weichenstellung

In den Jahren nach der Gründung fanden weltweit zum Teil kontroverse Diskussion darüber statt, ob ein Weltverband alle Richtungen, die sich von Carl Rogers herleiten oder auf ihn berufen und zum Teil beträchtlich andere Akzentsetzungen erfahren haben, unter einem Dach mit dem Titel "personzentriert" zusammengefasst sein sollen. Ängste wurden laut, dass es dadurch zu einer Verwässerung des originalen Konzeptes kommen könnte bzw. sich Orientierungen mit einem Namen schmücken würden, der ursprünglich für etwas anderes stand. Umgekehrt wurde der Orthodoxie-, ja bisweilen Fundamentalismusvorwurf erhoben. Aber auch innerhalb der verschiedenen Gruppen wurde unterschiedliche Standpunkte laut. Daneben gab es einige Bedenken, ob eine personzentrierte Bewegung eine weltweite formale Organisation gründen sollte und auch wieweit dies vornehmlich ein Therapievereinigung sein wollte.

Nach ausführlichen und kontroversen Diskussionen in Chicago wurde schließlich Einstimmigkeit (!) darüber erzielt, die kontroversen Auffassungen über die Zusammengehörigkeit und den Unterschied von personzentrierten und den experienziellen Ansätzen in einer Präambel anzusprechen und gleichzeitig ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit abzulegen, ohne die Unterschiede zu leugnen oder gering zu achten. Gerade damit sollte auch eine Basis für eine sachliche Diskussion und inhaltliche Auseinandersetzung über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten möglich werden. Also die Unterschiede benennen (und in weiterer theoretischer und praktischer Auseinandersetzung fruchtbar werden lassen) und wertschätzen und gemeinsam "politisch" auftreten.

In der Präambel heißt es: "Die Begriffe 'personzentriert' und 'experienziell' und die Konzepte und Prozesse, die damit verbunden sind, haben eine umfassende und reiche Geschichte und sind weiter in Entwicklung begriffen. Die Wahl des Ausdrucks "personzentriert und experienziell" beabsichtigt, fortgesetzten Dialog und Entwicklung zu fördern; es ist nicht beabsichtigt, ein bestimmtes Verständnis dieser Ansätze und ihrer Beziehung zueinander zu favorisieren."

Dementsprechend wurde auch der Name des Verbandes in "Weltverband für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung (WAPCEPC)" geändert und die alle drei Jahre stattfindenden internationalen Konferenzen werden in "Weltkonferenz für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung (PCE–Konferenz)" umbenannt

Bei der Generalversammlung in Chicago wurden die Prinzipien etwas überarbeitet; Statuten und eine Geschäftsordnung wurden beschlossen. Ein neuer Vorstand wurde auf drei Jahre gewählt und die Weichen für die baldige Gründung einer internationalen Zeitschrift gestellt.

Literatur

Frenzel, Peter / Schmid, Peter F. (1996), Von der Herausforderung, die eigene Power zu gebrauchen... Bericht über ein Treffen personzentrierter Wissenschafter, Bad Hall, Juli 1996, in: apg–kontakte 2 (1996) 37–54
Gendlin, Eugene T. (1997), »Wer Focusing kennt, muss keine Angst haben, von Problemen überwältigt zu werden«. Ein Gespräch mit dem Philosophen und Psychotherapeuten Eugene Gendlin über den Nutzen des Focusing und warum er hofft, dass es niemals als Therapieform gesetzlich anerkannt wird. Interview von Ulfried Geuter, in: Psychologie heute, September (1997) 66–69
IAPCT (1996): From Participants at a Person–Centered Meeting at Bad Hall, Austria, July 1996, in: apg–kontakte 2 (1996) 55–57; Person–zentriert 2 (1996) 103–106; Brennpunkt 69 (1996) 62f; GwG–Zeitschrift 103 (1996) 9f

Leicht überarbeitete und ergänzte Fassung eines Artikels von Peter F. Schmid in PERSON  2 (1997) 168–171: "... to further cooperation on an international level in the field of psychotherapy and counseling ..." Zur Gründung der World Association for Person–Centered Counseling and Psychotherapy (WAPCCP).