Wilhelm Zauner
Wie führe ich ein ehrenwertes Leben?

Predigt beim Gottesdienst zum 50. Geburtstag des Peter F. Schmid
Wien, 20. Mai 2000

Wie führe ich ein ehrenwertes Leben? (Shakespeare)
Werden sie im Jenseits auch genügend Klopapier haben? (Woody Allen)
Apg 2, 1-38
Mk 1, 14b-18

Die zwei Fragen, die uns bei diesem Fest zum 50. Geburtstag von Peter F. Schmid umtreiben, werden durch ein interdisziplinäres Symposion von Künstlern, Psychotherapeuten, Philosophen und Theologen behandelt. Früher hätte man sie nur den Theologen gestellt. Sie allein galten als zuständige Fachleute für ein ehrenwertes Leben im Diesseits, und wer sonst als ein Theologe sollte wissen, ob es ein Jenseits gibt - und ob sie dort auch genug Klopapier haben, wie sich Woody Allen besorgt erkundigt.

Heute sehen wir das anders. Wir erkennen: Die wirklich wichtigen Fragen unseres Lebens sind allen Menschen, allen Wissenschaften und Künsten gemeinsam aufgegeben. Wer meint, das sei nur sein Fach, kann nur ein Fachidiot sein, ein geistiger Schrebergärtner, wie man den griechischen Ausdruck ivdiw,thj zutreffend übersetzt. Der begehrliche Blick in die Gärten der Nachbarn ist geradezu eine Voraussetzung dafür, kaqo,lou denken zu können, ans Ganze und dem Ganzen gemäß, also katholisch.

Die Fragen „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wie führen wir ein ehrenwertes Leben?" können nicht behandelt werden ohne einen Ausgriff auf jene Wirklichkeit, die nicht mit den Sinnen wahrnehmbar ist und unsere rationale Erkenntnis übersteigt. Sie wird daher „Transzendenz" genannt, also Jenseits (in einem ganz allgemeinen Sinn). Der Ein- und Aufstieg in die Transzendenz gelingt nicht durch Wahrnehmung oder Argumentation, sondern durch Intuition oder Ekstase.

Beispiele solcher Ekstasen sind: der Traum – er findet Lösungen, die der wache Geist nicht kennt; das Theater – wenn sich der Vorhang hebt, verblaßt die Alltagswirklichkeit und die ‚Realität‘ spielt sich auf der Bühne ab. Ekstasen ereignen sich bei einer intensiven ästhetischen Erfahrung durch Musik, durch das Betrachten eines Bildes oder eines Gebäudes; sie ereignen sich beim Spiel eines Kindes; bei der Faszination durch eine intensive wissenschaftliche Forschung. Der frühere Skisprung-Olympiasieger Toni Innauer hat vor einer Woche hier in Wien auf Transzendenzerfahrungen von Spitzensportlern verwiesen, die zu schwer vermittelbaren Erfahrungen führen, die auch Mystiker machten.

Der Philosoph Alfred Schütz führt dazu noch das Gelächter an, in das sich unsere Ratlosigkeit auflöst, wenn wir einen Witz hören. Der Spannungsbogen unversöhnlicher Gegensätze, auswegloser Situationen und unlösbarer Probleme zerbricht durch einen Witz, der wie ein Blitz für einen Augenblick den ganzen Himmel über unsrer vordergründigen Welt beleuchtet und sie klein und unbedeutend erscheinen läßt. Das Lachen, das er auslöst, enthält ein Potential der Hoffnung, das einen neuen Anfang ermöglicht. Kierkegaard spricht vom Humor als der letzten Stufe vor dem „Sprung" in den Glauben.

Der austro-amerikanische Religionssoziologe Peter L. Berger geht in seinem Buch „Erlösendes Lachen" diesen weniger bekannten Wegen zur „jenseitigen Welt" nach. Er sieht im Lachen die Reaktion auf eine Wahrnehmung der Widersprüchlichkeit dieser Welt und der Ungeborgenheit des menschlichen Lebens. Gelöste Probleme tauchen oft wieder auf, geregelte Konflikte brechen neu aus, nach Friedensschlüssen gibt es wieder Krieg. Die Menschen ändern sich im großen und ganzen nicht; deshalb stimmt die Bibel immer. Wir bleiben die Menschen, die in der Genesis unter den Figuren Adam und Eva, Kain und Abel, Noach & Söhne oder der Erbauer des Turms von Babylon geschildert werden. Piet Schoonenberg hat einmal gesagt: „Nicht weil Adam gesündigt hat, sind wir alle Sünder; sondern weil wir alle Sünder sind, sind wir alle Adam und Eva, Kain und Abel, Noach und Söhne, Erbauer babylonischer Türme." Die apokalyptischen Reiter im letzten Buch der Bibel (Offb 6, 2-8) sind nicht nur eine Vision des Kommenden, sondern sie galoppieren durch die ganze menschliche Geschichte.

Wer die Situation des Menschen wahrnimmt, diese ganze Gefährdung der conditio humana, dem wird beklemmend zumute. Der klassische Weg, dieser Beklemmung zu entgehen, ist die Ekstase. Die Griechen des Altertums haben Dionysos, den Gott des Weines (auch der Rausch ist eine Ekstase) in orgiastischen Riten verehrt. Die Teilnehmer an diesen Riten nannte man den kw/moj, die Gruppe, die sich an einer kw,mh, an einer Liegestätte (kei/mai =liegen) trifft. Die wilden Lieder, die der kw/moj sang, hießen kwmw|di,a, die Oden des Komos. Die tragw|di,a, die Bocksgesänge, haben Schauspieler gesungen, die als Böcke (tragoi,) verkleidet die Irrungen und Wirrungen des menschlichen Lebens dargestellt haben.

Das Religiöse ist nach Peter L. Berger verwandt mit dem Tragischen und Komischen, so komisch das (zumindest für Theologen) klingt. Der Gottesdienst, den wir feiern, ist ein Vorgriff auf eine jenseitige Welt. Die Tischgemeinschaft, die wir hier andeuten, ist eine Ekstase, ein Aufblitzen der Verheißung: Wir werden zu Tisch sitzen in seinem Reich (vgl. Lk 13, 29). Wir werden einen Platz finden, eine kw,mh, an der wir einen kw/moj bilden und uns ausruhen können. Wir haben eine Zukunft, in der sich die Tragödie unseres Lebens in ein großes Lachen verwandeln wird, wie Jesus gesagt hat: „Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen" (Lk 6, 21).

Die Apostelgeschichte erzählt von einer religiösen Ekstase, die die Kirche mit begründet hat. Da kommt „plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt", und „es erscheinen Zungen wie von Feuer", die dazu befähigen, „die Sprache des anderen zu reden", wie Kardinal König das Wunder von Pfingsten einmal genannt hat. Diese Ekstase enthält ein hohes Potential an Hoffnung. „Die Gemeinschaft des Glaubens setzt Energie frei", heißt es im Philemon-Brief (6). Das ist der Grund, warum Petrus jetzt allen Versammelten sagen konnte: „Kehrt um, fangt neu an!" (Apg 2, 38).

Wie gewinnt man Menschen für eine solche Botschaft? Das Markusevangelium berichtet: Jesus hat sie zuerst verkündet, als er am See von Galiläa entlangging. Dort sah er „die Brüder Simon und Andreas, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen" (Mk 1, 17). Ich gestehe: Diese Metapher war mir lange Zeit unangenehm. Ich wollte auch durch meine Priesterweihe nicht einer werden, der tückisch seine Netze auslegt und Menschen einfängt wie Fische - und sie dann um ihr Leben bringt, um ihnen ein besseres einzureden.

Was dieses Bild vom „Menschenfischer" meinen könnte, habe ich zuerst an einem Teich erlebt, die sich mein Freund und ehemaliger Mitschüler Josef Ratzenböck in seinem Heimatort Neukirchen am Walde angelegt hat. Er fing mit einem Netz einen Fisch heraus, streichelte ihn und warf ihn dann wieder ins Wasser. Diese kleine Szene kam mir wieder in den Sinn, als ich in Traunstein im Waldviertel neben dem Dorfbrunnen eine ungewöhnliche Darstellung des Menschenfischers sah, die der dortige Pfarrer Josef Elter (+ 1997) in Stein gehauen hatte: Petrus trägt seinen sperrigen Schlüssel zum Himmelreich quer auf dem Rücken befestigt. Daher hat er beide Hände frei und drückt damit zärtlich einen großen Fisch an sein Herz, der sich in seinen Armen sichtlich wohl fühlt.

Da habe ich in der Bibel nachgeschaut. Der dort verwendete griechische Ausdruck für ‚Fischer‘ heißt a`lieu,j; das hat sprachlich nichts mit einem Fisch - ivcqu,j - zu tun. (Das davon gebildete Wort für Fischer – ivcquboleu,j – meint einen, der eine Harpune gegen einen Fisch schleudert und kommt im Neuen Testament nicht vor). Das Wort a`lieu,j kommt von a`lj, das heißt das Wasser oder auch das Salz, das es enthält. Wasser ist ein Bild des Lebens, Salz ein Bild des Bewahrens. Ein a`lieu,j ist einer, der sich auf dem Wasser zurechtfindet (bzw. etwas bewahren, ‚salzen‘ kann). Der ‚Menschenfischer‘ ist also ein qeé,ray, ein Therapeut, der mit den Wassern dieses Lebens vertraut ist und sich auf ihnen orientieren kann, der einen Menschen durch die Strudel und Stromschnellen bringt und ihn im Leben hält. Dazu sind alle Menschen berufen, vorab die Künstler und Psychologen, die Philosophen und Theologen.

Das ist die Antwort auf die erste Frage „Wie führe ich ein ehrenwertes Leben". Die zweite Frage wollen wir beim hundertsten Geburtstag des Peter behandeln.

Prof. Dr. Wilhelm Zauner ist emeritierter Pastoraltheologe der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz und ehemaliger Vorsitzender der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen; er war in vielen wissenschaftlichen und kirchlichen Funktionen in Österreich tätig und ist es noch; ihn zeichnet ein besonderes Interesse für Kunst aus und er ist unter anderem im Otto-Mauer-Fonds diesbezüglich tätig.

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